Kein Platz mehr für die geflügelten Boten

12 Apr. 2012

Eppsteiner Zeitung vom 12.4.2012
Kein Platz mehr für die geflügelten Boten

In sattem Dunkelrot, Zitronengelb, Blau und warmem Maisgelb leuchten die sanft geschwungenen neuen Ziegel des Taubenhauses im Bergpark Villa Anna. Vergangenen Sonntag zeigte Stadtarchivarin Monika Rohde-Reith die wiederhergestellte Pracht den rund 30 Besuchern ihrer Führung. Das renovierte Taubenhaus fasziniert, so die Archivarin, durch seine Architektur, seine Dimensionen und vor allem die Bedeutung als Statussymbol für seine Erbauer.

Rohde-Reith entführte ihre Zuhörer in die Denkweise vergangener Zeiten. Einst lustwandelte der Adel in seinen üppig angelegten Gärten rund um seine Schlösser. Die Blütezeit des Adels war vorüber, als der reiche Bankier Alfred de Neufville (1856–1900), Finanzexperte seiner Zeit, 1884 die rund 100000 Quadratmeter Land in Eppstein kaufte, um einen wahrhaft aristokratischen Bergpark anzulegen. Der Park trägt den Namen seiner Frau Anna, einer geborenen Mumm von Schwarzenstein.

Der Stern der blaublütigen Geschlechter war im 19. Jahrhudert bereits gesunken. Lebensweise und Kultur des Adels waren aber so beeindruckend, dass sie vom aufstrebenden Bürgertum nachgeahmt wurden, damit der Glanz vergangener Zeiten auf sie abfärben möge. Rohde-Reith wies auf die kleinen Demonstrationen der Überlegenheit hin, die bei der Planung des Parks eingebaut wurden. Jedes architektonische Zitat steht ein wenig höher als das Original. So schauen sowohl der Neufville-Turm als auch das Haupthaus auf die Burg herab. Die freigelegten Sichtachsen geben beim Spaziergang über die verschlungenen Pfade des Bergparks immer neue Blickwinkel auf Burg, Stadt und Kaisertempel frei.
Der Bergpark Anna enthält die typischen Elemente eines Barockgartens. Dazu gehören sakrale Elemente, Ruinen, Grotten, Pflanzen und Architektur aus aller Herren Länder, eine beeindruckende Natur mit Bäumen, Felsen und Wasserläufen, ein Wirtschaftsgarten als Reminiszenz an die „heile“ Welt des einfachen Landvolkes und nicht zuletzt ein Taubenhaus.

Die Taubenhaltung war, genau wie die Jagd, ursprünglich ein Privileg des Adels. Tauben waren seit der Antike hochgeschätzt: Als Brieftauben, Düngelieferant oder zur Bereicherung des Speiseplans. Im alten Ägypten vermischten die Bauern Nilschlamm mit Taubenmist, um die Felder zu düngen. Die geflügelten Boten warnten vor herannahendem Hochwasser oder vor Feinden. Allein in England gab es in Klöstern und adeligen Parkanlagen 26000 Taubenhäuser, in denen teilweise bis zu 3000 Tieren gehalten wurden. Heute sind die gurrenden Vögel wegen ihrer Verbreitung in den Städten, der damit einhergehenden Verwahrlosung und ihrer findigen Suche nach einem Unterschlupf in Ungnade gefallen. Die einst so wertvollen Hinterlassenschaften gelten heute als Krankheitserreger.

„Auch auf der Burg haben wir Probleme mit Tauben und vor allem mit ihren Exkrementen“, erzählte Rohde-Reith. In das neu aufgebaute Taubenhaus im Bergpark Anna werden keine gefiederten Bewohner einziehen. Vielmehr ist geplant, in dem schmucken Häuschen mit dem bunten Ziegeldach ein Besucherzentrum mit Informationen für Wanderer unterzubringen.
Das Taubenhaus steht mitten im ehemaligen Wirtschaftsgarten am höchsten Punkt des Parks. Von dort geht es durch den Exotenwald zum Neufville-Turm, der nachgebauten Burg der Familie, dessen Turmplattform einen herrlichen Blick auf die Burg bietet.

Mammutbäume, kaukasische Fichten, Eiben und andere fremdländische Gehölze haben eine Lebenserwartung von mehreren hundert Jahren. Die Neufvilles hatten ihren Park mit Blick auf die nachfolgenden Generationen angelegt. Sie selbst konnten ihn nur wenige Jahre genießen: Anna wurde gerade mal 36 Jahre alt, Alfred folgte ihr vier Jahre später im Alter von 44.
Der Förderkreis Bergpark Anna arbeitet nach der Renovierung des Taubenhauses weiter daran, den Park aus seinem Dornröschenschlaf zu erwecken und ihn wieder in seinen alten Zustand zu versetzen. „Wir sind froh, dass Neufville seinen Park in Eppstein und nicht am Comer See angelegt hat“, spielte Rohde-Reith auf einen anderen Besitz der Familie an dem italienischen See an. ffw