Schulz führte die Leser an den Abgrund

18 Aug. 2011

Eppsteiner Zeitung vom 18.8.11
Schulz führte die Leser an den Abgrund


Was ist mit John geschehen? Diese Frage blieb beim Lesespaziergang mit Autor Berndt Schulz am vergangenen Sonntag im Bergpark Villa Anna offen. Schulz las abgründige Geschichten aus Parks und Natur aus seinem Buch "Unser schönes Leben" einer kleinen Schar Zuhörerinnen vor. Zu der außergewöhnlichen Lesung hatte der Förderkreis Bergpark Villa Anna eingeladen.

Die Geschichten entführten in eine scheinbare Idylle. Doch völlig unerwartet kippte der Frieden. Ungewissheit machte sich breit und grauenhafte Bilder drängten sich auf. Schulz verzichtet auf blutrünstige Beschreibungen. Er ist überzeugt, die besten Verbrechen entwickeln sich im Kopf des Lesers. In seinen Kurzgeschichten führt er ihn bis an den Abgrund heran und überlässt ihn dort seiner eigenen Phantasie, indem er das Ende offen lässt. Es sei auch möglich, der Geschichte eine positive Wendung zu geben, das hänge vom Leser ab, meinte er. "Früher habe ich Bücher oftmals nicht zu Ende gelesen, weil ich den Handlungen meine eigene Wendung geben wollte. Ab einem gewissen Punkt gehörte die Geschichte nur noch mir und meiner Vorstellungskraft", erklärte Schulz.

Seine Krimis dagegen haben eine in sich abgeschlossene Handlung. Die Polizeiarbeit ist dabei eher Nebensache. Die Überführung eines Mörders sei notwendig, mache aber die Welt nicht besser, meinte Schulz. Die Polizei löse nicht unsere Probleme, denn die Probleme trügen die Menschen. Schulz spielt mit den Gegensätzen, Anziehung und Abstoßung, Harmonie und Konflikt, Frieden und impliziertes Grauen. Seine Figuren sind selten mit den gemeinhin als richtig empfundenen Gefühlen für eine Situation ausgestattet. Scheinbar unbeteiligt schlendert die Protagonistin durch das Gartencenter, nachdem sie ihren Partner ermordet hat.

Zu den Kurzgeschichten passte die Atmosphäre des Bergparks. Schwülwarmes Wetter drohte mit heftigem Gewitterregen, der aber ausblieb. Passend zur vorgelesenen Szene rauschte der Wind in den hohen Bäumen des Parks und wie auf Bestellung zog dröhnend ein Flugzeug bei der Kurzgeschichte "Leidenschaft" seine Bahn am Himmel. Malerische Ausblicke auf die Stadt mit ihrer Burg, das lauschige Plätzchen vor dem Taubenhaus und die gemütliche Kaffeestunde mit Kuchen am Neufville-Turm versetzten die Zuhörer in eine friedvolle Ruhe, die mit einer wohligen Prise Nervenkitzel gewürzt wurde. Parks seien seit dem 18. Jahrhundert der Rahmen für die verschiedensten Kunstgattungen, erklärte Heidrun Merk, Projektleiterin Garten-Rhein-Main. Ruinen mahnten an die Vergänglichkeit, quasi als Zeugnis geronnener Zeit. Staffage-Architektur wie der Neufville-Turm, verschlungene Pfade und wildromantische Natur seien Emotionsträger und verstärkten die Empfindungen beim Genuss von Musik, Literatur und Malerei, erläuterte Merk. Damit ist der Bergpark Villa Anna ein Juwel für solche Veranstaltungen.

Die Lesung hätte mehr Besucher verdient gehabt. Mit Schulz hatten die Organisatorinnen Diana Seiler und Yvonne Winterer einen vielseitigen und interessanten Menschen verpflichtet. Der 1942 geborene Schulz wandte sich erst 1992 der Belletristik zu. Als freier Autor lag sein Schwerpunkt zuvor auf Sachbüchern, unter anderem zur Filmgeschichte. Er schrieb Biographien von Betty Mahmoody, Thor Heyerdahl und Marlene Dietrich sowie Drehbücher und Drehbuchvorlagen. Unter dem Pseudonym Mattias Gerwald veröffentlichte er historische Romane wie "Der Entdecker" oder "Die Geliebte des Propheten". Bekannt wurde er vor allem durch seine Krimis mit dem Ermittler Martin Velsmann. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit leitet der Fernseh- und Filmkritiker eine Schreibwerkstatt.

Schulz ist eher ein Mann der leisen Töne. Er schreibe normalerweise nicht autobiografisch, aber seine 33 Kurzgeschichten seien sein persönlicher Schutzwall gegen seine eigenen Ängste und Sorgen, erzählte er. Diesen Frieden empfinde er auch an seinem eigenen Arbeitsplatz, einem ausrangierten russischen Zirkuswagen. Der steht, geborgen inmitten eines Haines, auf seinem Grundstück in Nordhessen, wo Reh und Rotkehlchen Schulz zu neuen "Schandtaten" inspirieren. ffw