Nassauische Schweiz zog die Städter an

24 Sep. 2009

Nassauische Schweiz zog die Städter an

Eppsteiner Zeitung vom 24.09.2009

Alfred von Neufville, Bankier und Kaufmann aus Frankfurt, und seine Frau verbrachten einst die Sommermonate in der Villa Anna in Eppstein. 1885 wurde mit dem Bau des Hauses und der Gestaltung des Parks begonnen. Eine kleine Landwirtschaft gehörte zum Anwesen. Vornehme Frankfurter Bürger kamen, als alles fertig war, zu Besuch, übernachteten im Fürstenzimmer im Kavaliershaus und genossen mit der Familie die warme Jahreszeit im Taunus. Sommerfrische im eigenen „Landhaus“ in und außerhalb der Stadtmauern hatte für Frankfurter Bürger schon lange Tradition. Zum Tag des offenen Denkmals sprach die Historikerin Dr. Sabine Hock auf Einladung des Förderkreises Bergpark Villa Anna über dieses Thema.

Bis 1330 war innerhalb der Frankfurter Stadtmauern kaum Platz für Grün. Nur im Hirschgraben weideten Tiere – für das Wildessen des Rates. Mit der Erweiterung der Stadtbefestigung änderte sich das und Goethe konnte als Bub bei Opa Textor in der Friedberger Gasse im großen Garten Beerenobst naschen. Wo heute Interconti und das Haus der IG Metall stehen, dufteten zu seiner Zeit im Loënschen Landgut im Sommer die Nelken.
1806 begannen wohlhabende Frankfurter auf den ehemaligen Befestigungswällen der Stadt Gärten anzulegen. Eine Grünanlage lud zum Promenieren ein, geplant und gepflegt von einem jungen Gärtner namens Sebastian Rinz. Heute sind noch Teile davon am City-Ring erhalten. Doch schon bald zog es die Frankfurter weiter hinaus, in Dörfer wie Rödelheim vor der Stadt. Max von Grunelius und seine Frau Emma, als geborene Mumm von Schwarzenstein eine Verwandte von Anna von Neufville, übernahmen einen Landsitz in Oberrad und luden zum Tee auf dem Dach eines kleinen Tempels ein. Es war die Zeit, als die Neufvilles sich ihr Refugium in Eppstein erschlossen.
Warum aber der damals 29-jährige Alfred von Neufville und seine 25 Jahre alte Frau Anna Eppstein auswählten, wusste Sabine Hock nicht zu sagen. Viele Frankfurter entschieden sich im Gefolge von Künstlern wie Anton Burger damals für Kronberg. Sie mutmaßte, dass die beiden sich einfach in die Landschaft verliebt hatten, und wies auf den bezaubernden Blick aus den Fenstern im Obergeschoss der Villa Anna hin. Während Frankfurter Bürger wie Simon Moritz von Bethmann in Frankfurt künstliche Anhöhen in ihren Parks schufen, verfügten Neufvilles mit ihrem großen Grundstück am Jähenberg in Eppstein über natürliches Terrain für einen Bergpark. Sogenannte Schweizer Häuser zierten auch die Gärten in Stadtnähe. In die Landschaft rund um Eppstein, auch als Nassauische Schweiz bezeichnet, passte ein solches ans Alpenland erinnernde Gebäude besonders gut.
Ob der Bergpark mit seinen exotischen Mammutbäumen und Douglasien nach Plänen des Frankfurter Gärtners Franz Heinrich Siesmayer geplant und von Andreas Weber, einem Enkel von Sebastian Rinz, ausgeführt wurde oder umgekehrt, darüber gibt es in wissenschaftlichen Publikationen unterschiedliche Meinungen. Der Eppsteiner Stadtarchivar Dr. Bertold Picard ist sich mittlerweile sicher, dass Weber die Pläne gemacht und Siesmayer allenfalls der Ausführende war. Wahrscheinlicher ist diese Variante auch in den Augen von Sabine Hock: Siesmayer hatte bei Rinz gelernt und der war allzu vielen Bauten in den Gärten abgeneigt. Der Eppsteiner Bergpark hingegen ist regelrecht „möbliert“: Ein Kavaliershaus, das Kutscherhaus am Eingang, das erwähnte Schweizerhaus, eine Meierei, ein Gartenblockhaus, ein Taubenhaus und der heute nach der Familie benannte Turm stehen auf dem Grundstück. Nicht zu vergessen eine kleine künstliche Ruine, die Besucher leicht übersehen, weil sie nur aus einem niedrigen Mauerrund samt steinernem Türpfosten besteht. Der Neufville-Turm bot dem Hausherrn Platz für seine Kunst- und Jagdsammlung. Er war von einem Wassergraben umgeben. Die Brücke wurde von der Stadt Eppstein einst wegen Baufälligkeit abgerissen und der Wallgraben zugeschüttet.
Die Neufvilles konnten, wie Hock deutlich machte, die Idylle nicht lange genießen: Anna starb 36-jährig und ihr Mann wurde 44 Jahre alt. Ihrer schon zuvor angeschlagen Gesundheit bekam vielleicht die schattige Lage des Anwesens nicht gut. Heute ist nur noch die auf dem Bergrücken gelegene ehemalige Meierei in Besitz der Familie.
Im Anschluss an den Vortrag tranken die Besucher auf Einladung der Therapeutischen Einrichtung und ihrer Bewohner Kaffee und sprachen im ehemals repräsentativsten Raum der Villa Anna mit getäfelter Holzdecke dem hausgemachten Blechkuchen zu. Die letzte Führung des Förderkreises in diesem Jahr bietet am Sonntag, 11. Oktober, Gelegenheit, mit Dr. Picard auf den Spuren der Neufvilles durch den Berkpark zu wandern. Treffpunkt ist um 11 Uhr an der Auffahrt zur Villa Anna. sp

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